Warum The Hate U Give so wichtig ist [Buchvorstellung]

“Listen! The Hate U—the letter U—Give Little Infants Fucks Everybody. T-H-U-G L-I-F-E. Meaning what society give us as youth, it bites them in the ass when we wild out. Get it?” “Damn.” (Khalil, p. 21)

Unbewaffnet und ohne eine Gefährdung dazustellen, wird der 16-jährige Khalil von einem weißen Polizisten erschossen. Starr Carter ist die einzige Zeugin des Verbrechens – soll sie ihre Stimme erheben?

Über den Hintergrund. Die Ermordung des  22-jährige Oscar Grant im Januar 2009 hatte die Autorin Angie Thomas zu ihrem Buch, The Hate U Give, inspiriert.

Ein Polizist schoss dem unbewaffneten Oscar Grant in Oakland an der Fruitvale BART-Station in den Rücken (dazu gibt es auf Netflix einen guten Film). Die Tat wurde von den umstehenden Menschen gefilmt. Die verbreiteten Videos führten zu Protesten und Märsche. Dennoch wurde der Polizist Johannes Mehserle lediglich wegen fahrlässiger Tötung für schuldig befunden und wurde schon nach elf Monaten auf Bewährung wieder entlassen.

Zur Handlung Wie Oscar Grant war auch Khalil unbewaffnet. Er wollte sich lediglich ins Auto beugen, um zu fragen, wie es Starr geht. Die Polizei beginnt die Sache zu verdrehen und aus dem Opfer einen Täter zu machen. Er wollte nach etwas greifen, dass aussähe, wie eine Waffe, er habe sich gewalttätig verhalten. Sie versuchen die Tat zu rechtfertigen: Er war ein Drogendealer, er war ein Gang-Mitglied – doch was ändert das an der eigentlichen Tat?

“Once upon a time there was a hazel-eyed boy with dimples. I called him Khalil. The world called him a thug.”

War er denn wirklich ein Drogendealer? Starr beginnt an ihrem eigenen Bild von ihm zu zweifeln. Er war ihr bester Freund und dennoch hatten sie lange nichts mehr miteinander zu tun. Kann das wirklich sein? Wer war Khalil? Letztendlich ist sie selbst schockiert darüber, dass sie ihren besten Freund in Frage stellt, er hat das nicht verdient. Sie versucht der Welt zu zeigen, wer er wirklich war.

Nachdem sie zögert, geht sie schließlich zur Polizei und schildert das Verbrechen. Dennoch wird Nummer 115 nicht verhaftet. Die Menschen aus Garden Heights sind wütend, es gibt Aufstände. Starr, als einzige Zeugin, weiß nicht, was sie machen soll.

The Hate U Give ist nicht nur ein Buch über Rassismus, über Polizeigewalt, sondern auch eine Coming of Age Geschichte. Traumatisiert von der Tat, ist Starr erst eingeschüchtert, sie traut sich nicht zu sprechen, sie traut sich auch nicht in der Schule in Williamson zu sagen, dass sie Khalil kannte und das sie Freunde waren. Sie versucht beide Welten zu trennen, bis es nicht mehr möglich ist. Sie beginnt, zu sich zu stehen, dazu, wo sie er herkommt und zu Khalil: Sie beginnt ihre Stimme für ihn zu heben. Somit ist es vor allem auch eine Geschichte um eine junge Frau, die zu sich selbst findet und beginnt, für sich und ihre Meinung einzustehen. Und das passiert nicht nur in Bezug auf das Verbrechen an Khalil, sondern auch gegen Alltagsrassismus beginnt sie sich zu wehren.

„Hustle! Pretend the ball is some fried chicken. Bet you´ll stay on it then“ (p. 113) Es war nur ein Witz, rechtfertigt sich eine „Freundin“ von Starr. Es wäre nicht so gemeint. Hier zeigt Angie Thomas wunderbar auf, dass es bei Rassismus nicht auf die Intention ankommt, sondern wie es bei der anderen Person ankommt. Vielleicht hat Hailey es wirklich als Witz gemeint, dass ändert aber nichts daran, wie es bei Starr angekommen ist, die darauf erwidert: „You can say something racist and not be a racist“ (p. 114)

Dennoch ist das Buch in keiner Weise ein Bashing gegenüber Weißen – nach dem Motto „Alle Weißen sind Rassisten“. Genauso wenig wie alle „Schwarzen“ Drogendealer sind, sind alle „Weißen“ Rassisten. Starrs Freund ist „weiß“, er setzt sich nachher mit ihr für Khalil ein. Auch nicht alle Polizisten sind böse. Starrs Onkel ist ein „schwarzer“ Polizist und setzt sich gegen die Ungerechtigkeit ein. Damit entgeht dem Buch das Problem der Stigmatisierung und der Verallgemeinerung. Die simple Konstruktion von Gut und Böse wie bei Star Wars funktioniert nicht.

Sprache ist Identität. Dies zeigt sich deutlich in The Hate U Give. Wenn Starr in Williamson ist, versucht sie auf ihre Sprache zu achten und keinen Slang zu benutzen, „um nicht das schwarze Mädchen aus dem Getto zu sein“. Wenn sie hingegen in Garden Heights ist, möchte sie nicht als das „schwarze Mädchen, das in eine weiße Privatschule geht“ wahrgenommen werden, hier verwendet sie Slang. Über Sprache zeigt Starr, wer sie ist und über Sprache trennt sie ihre beiden Welten voneinander. So, wie sich ihre beiden Welten vermischen, so vermischt sich am Ende auch ihre Sprache, wenn sie nicht mehr darauf achtet, welche Starr sie sein muss. Ich bin mir nicht sicher, ob das in der deutschen Übersetzung rüber kommt, daher empfehle ich euch das Lesen des Originals, auch weil dadurch die Authentizität gesteigert wird.

“I’ve taught myself to speak with two different voices and only say certain things around certain people. I’ve mastered it.”

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Das Ende des Buches ist passend und dennoch war es an dem Punkt, wo ich gerne noch weiter gelesen hätte, um mehr zu erfahren. Dennoch fand ich es von der Autorin konsequent. Die Ausschreitungen, die erst friedlich beginnen und dann in Gewalt münden, zeigen auf, wohin Wut und Hass führen, wenn es keine Gerechtigkeit gibt und man keine Möglichkeit sieht, aus seiner Ohnmacht herauszukommen.

Zu den Nebenfiguren habe ich bisher kaum Worte verloren. Der Fokus liegt auf die Ich-Erzählerin Starr, doch das Buch punktet auch mit gut ausgebauten Nebenfiguren. Zu denen man nicht allzu viel erfährt, die aber trotzdem nicht in die Gefahr laufen, zu Stereotypen zu werden. Besonders hat mir die Zeichnung der Eltern gefallen, die zwar oft das Verhalten ihrer Tochter nicht gutheißen, sie aber dennoch verstehen können. Potterheads werden auch ihre Freude an den zahlreichen Anspielungen auf die Buchreihe haben.

Das Buch ist wichtig und aktueller denn je. In Amerika regiert ein Präsident, der sich schützend vor dem Ku Klux Klan stellt und von dem Oberhaupt David Duke höchstpersönlich unterstützt wird. In Ungarn sowie in Brasilien sitzt ein rassistischer Präsident und in Deutschland sitzt die AFD mittlerweile in allen Landtagen. Das nimmt erschreckende Auswirkungen an und ist ein Schritt in die falsche Richtung. Aus diesem Grund ist The Hate U Give so wichtig, um auf die Missstände aufmerksam zu machen und Rassismus aufzuzeigen. Bücher können ein wichtiges Werkzeug sein und der Welt ihren Spiegel vorhalten.

Eine weitere Meinung zu dem Buch:

3 Gedanken zu “Warum The Hate U Give so wichtig ist [Buchvorstellung]

  1. Tolle Kritik, man merkt wie sehr dir das Buch gefallen hat. Ich find die Botschaft auch aktuell und wichtig, würde mir aber gerne erstmal den Film ansehen. Der soll das ganze ja auch super umgestzt haben und da dem Buch treu bleiben (zumindest habe ich nichts gegenteiliges gelesen). Finde es ja super, wenn man solche Themen in Jugendfilmen aufgreift und damit zum nachdenken anregt, denn wie du schon sagtest: Bücher fungieren als Spiegel, können dazu führen das man das eigene Verhalten hinterfragt und für Themen sensiblisert wird. Letzten Endes kommt es dadurch dann auch zu Veränderungen und Diskussionen in der Gesellschaft. Dass die wichtig sind, zeigt die politische Lage nur allzu gut. Wir alle sollten unser Verhalten häufiger hinterfragen, mehr Rücksicht und Respekt anderen zeigen. Anstatt immer zu sagen, man sei kein Rassist, kann man sich für eine Aussage auch einfach mal entschuldigen, den Hinweis aufnehmen und es beim nächsten mal besser machen.

    Dankeschön für dein liebes Kommentar Nadine,
    wobei das doch auch schön für den Geldbeutel ist und du so super Filme nachholen kannst, die schon gestartet sind. Bin gespannt was du zu „Wir“ sagst. Der Trailer sah echt verrückt und krass aus, aber ich muss gestehen das ich bei „Get Out“ mehr erwartet hatte. Deshalb werde ich mir den neuen Peele Filme auch zuhause anschauen und nicht im Kino. Also bei After Passion musst du dich auch noch länger auf meine Meinung gedulden, weil das ja nicht unbedingt mein Genre ist und ich eher aufgrund des Hypes mal reinschauen möchte, werde ich warten bis es den irgendwo im Abo gibt. Reicht mir.

    Freut mich aber, dass ich dann mit meinen Empfehlungen weiterhelfen konnte. Der Beitrag war mich auch echt wichtig, weil ich mich da selbst teilweise an Blog-Empfehlungen orientiert hatte, zumindest was Franco Manca anbelangt. Das Byron hatten wir ganz spontan entdeckt. Wollten an dem Abend eigentlich in einem Pup essen, aber als man uns dort dann eröffente, dass es nur bis 18 Uhr Essen gab, waren wir froh den Burgerladen entdeckt zu haben.

    Das finde ich super, hatte das denn geklappt mit der Unterstützung, denke mal du bist dann auch zur Demo oder? Mittlerweile laufen da ja auch nun auch Eltern und Großeltern bzw. generell Erwachsene mit, was ich super finde.

    Also ich fand ihn nicht schlecht, aber er hatte auch ein paar Längen in meinen Augen. Die Darsteller von „Alles eine Frage der Zeit“ waren aber super und das Grundkonzept definitiv interessant. Ich finde nur, man hätte das noch etwas spannender inszenieren können, wenn der Film ne halbe Stunde kürzer gewesen wäre. War dann doch ne lange Laufzeit.

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  2. Pingback: Was geschah…. im April 2019 | Wörter auf Reise

  3. Hallo Nadine,

    eine wirklich tolle Vorstellung dieses Buches, der ich voll und ganz zustimme, nachdem ich selbst das Buch vor etwa einem Jahr gelesen habe. Dabei hast du einige Aspekte ausgeführt und analysiert, die mir zwar im Ansatz aufgefallen sind, die ich aber gar nicht so weit zu Ende gedacht habe wie die Sache mit der Sprache. Aber du hast absolut Recht.
    Gerade angesichts des fortlaufenden Problem der Polizeigewalt aber auch generell als Stimme gegen Alltagsrassismus ist dies ein unheimlich wichtiges Buch.

    Liebe Grüße
    Dana

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